Neues Netzwerk Hostwriter: Ideal für Fachjournalisten
Autor: Felix Fischaleck · 6. Mai 2014
Morgen auf der re:publica in Berlin ist es soweit: hostwriter geht online. Das Projekt, gegründet von den Journalistinnen Tamara Anthony, Tabea Grzeszyk und Sandra Zistl, versteht sich als weltweites Netzwerk für Journalisten. Auf der gemeinnützigen Plattform hostwriter.org können sich Journalisten zum Austausch von Kontakten, Informationen und für gemeinsame Rechercheprojekte vernetzen und bei Bedarf auch ein Gästezimmer anbieten. Im Interview mit dem Fachjournalist spricht Mitinitiatorin Sandra Zistl über die Hintergründe des Projekts, und darüber, welche Ziele sie und ihre beiden Mitstreiterinnen verfolgen.
Frau Zistl, morgen wird die Beta-Version von hostwriter auf der re:publica in Berlin gelauncht. Steigt die Spannung langsam?
Natürlich sind wir nervös, aber die Vorfreude überwiegt. Weil sich jetzt ein Projekt konkretisiert, an dem wir seit anderthalb Jahren arbeiten. Was uns in den vergangenen Wochen zusätzlich befeuert hat, ist die unglaublich positive Resonanz auf das Projekt in Deutschland wie im Ausland. Wir freuen uns deshalb wahnsinnig, dass hostwriter morgen online geht.
Wie ist die Idee zu Ihrem Projekt entstanden?
Bei mir persönlich waren es die Eindrücke, die ich bei Recherchereisen von journalists.network (Anm. d. Red.: Verein, der auf ehrenamtlicher Basis Recherchereisen, vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländer, für junge Journalisten bis zum Alter von 35 Jahren organisiert.
Die drei hostwriter-Initiatorinnen sind Mitglieder des Vorstands von journalists.network.) gewonnen habe. Dabei habe ich festgestellt, dass gemeinsame Recherchereisen zu mehr Kollegialität führen und man gemeinsam mehr verstehen kann. Beeindruckt war ich auch vom Austausch mit Kollegen vor Ort: Von diesen habe ich stets gute Kontakte und Informationen erhalten, die wichtig waren, um einen Einblick in die dortige Gesellschaft zu bekommen. Daraus ist bei mir das Gefühl entstanden: Wir Journalisten müssen nicht konkurrieren, sondern können gemeinsam bessere Geschichten erzählen.
Soll Ihr Projekt also dazu beitragen, dass Journalisten untereinander mehr kooperieren?
Ja. Wir wenden uns mit hostwriter gegen den Ellbogenjournalismus und wollen die Zusammenarbeit unter Journalisten stärken. Kooperation statt Konkurrenz – das ist unser Ziel.
Wie lautet der Claim von hostwriter?
„Collaborate with journalists worldwide“. Der deutsche Begriff kollaborieren klingt immer ein wenig seltsam, aber im Englischen trifft es der Ausdruck „collaborate (zusammenarbeiten)“ ziemlich gut. Ein weiterer Claim lautet: “Find a story, find a colleague, find a couch”. Das zeigt auch, dass die Übernachtungsmöglichkeit – gelegentlich wurde hostwriter ja als Couchsurfing für Journalisten beschrieben – nicht an erster Stelle steht.
Ist hostwriter auch als Kritik an der Qualität der Auslandsberichterstattung hierzulande zu verstehen?
Nicht als Kritik an der Arbeit von Kollegen vor Ort, sondern als Kritik am System. An der Tatsache, dass überall gespart wird, und ein einziger Korrespondent mittlerweile oft für einen halben Kontinent zuständig ist. hostwriter ist nicht als Konkurrenz, sondern als Hilfestellung, auch für Korrespondenten gedacht. Die Medienhäuser leisten sich zu wenig Mitarbeiter vor Ort, oft gibt es nur eine Agenturmeldung zu einem Thema – wir wollen mit hostwriter fundierte Geschichten liefern und Hintergründe beleuchten.
Haben Sie keine Angst, dass sich Journalisten, die gemeinsam recherchieren, in die Quere kommen und der Konkurrenzgedanke letztlich doch stärker ist?
Das ist natürlich immer eine Frage der Persönlichkeit des einzelnen Journalisten. Ich denke, wer sich bei hostwriter anmeldet, ist ein bestimmter Typ von Journalist; also kein Eigenbrötler, der keine Lust hat, Menschen einzubinden. Wenn man beispielsweise mit einem ägyptischen Kollegen eine Story recherchiert, dann kommt man sich in der Regel nicht in die Quere. Wenn deutsche Journalisten zusammenarbeiten, müssen natürlich einige Fragen vorab geklärt werden, zum Beispiel die Honoraraufteilung. Allerdings ist es auch eine Frage des Mediums: Wenn Print- und Online-Journalisten gemeinsam recherchieren, kommen sie sich überhaupt nicht in die Quere. Abgesehen davon gibt es sehr viele Themen, die sich gar nicht mehr national erzählen lassen. Internationale Recherche-Kooperationen werden in der Zukunft sicher noch mehr Bedeutung bekommen als sie dies bereits haben. Insgesamt glaube ich, dass Fairness dominieren wird und der „Spirit-Gedanke“ überwiegt. Aber die konkreten Recherchefälle werden letztlich zeigen, wie die Kooperation zwischen Kollegen funktioniert.
Ist hostwriter vor allem für freie Journalisten interessant?
Ich denke, dass sich das Interesse von festangestellten und freien Journalisten in etwa die Waage halten wird. Wir als Initiatorinnen kennen beide Seiten des Geschäfts. Von der Konstitution ist hostwriter für beide Gruppen gedacht.
Auf Ihrem Blog haben Sie einen Ethikkodex verabschiedet. Was waren die Gründe hierfür?
Der Ethikkodex war uns sehr wichtig. Darin steht, dass es untersagt ist, hostwriter für kommerzielle Zwecke, wie z.B. als Übernachtungsmöglichkeit oder Dating-Plattform zu missbrauchen. Wir geben den Mitgliedern außerdem die Möglichkeit, mittels der Funktion „Report a Violation“ über Missbrauch zu informieren, und behalten uns vor, Mitglieder auszuschließen. Das Ausnutzen von Stringern, also Einheimischen wenig Geld für Informationen zu zahlen ohne dabei ihren Namen zu nennen, wollen wir auf jeden Fall verhindern. Sollte es dennoch einen solchen Missbrauch geben, werden wir ihn öffentlich machen und massiv dagegen vorgehen.
Fürchten Sie darüber hinaus einen Missbrauch der Plattform durch etablierte Medien, die versuchen könnten, Reisekosten durch hostwriter zu sparen?
hostwriter ist auch eine Reaktion auf die derzeitigen Bedingungen im Journalismus. Gerade freie Journalisten bleiben oft auf den Reisekosten sitzen. Deswegen ist ein möglicher Missbrauch durch etablierte Medien ein wichtiges Thema für uns. Sollten wir feststellen, dass viele Redaktionen versuchen, über hostwriter Kontakte herzustellen, behalten wir es uns vor, ein Finanzierungsmodell für Verlage einzuführen.
Apropos Finanzierungsmodell: Wie finanziert sich hostwriter derzeit, und welches Geschäftsmodell ist für die Zukunft geplant?
hostwriter wird bislang unterstützt vom Vocer Innovation Medialab, der Hamburger Medienstiftung, StartSocial und der Rudolf-Augstein-Stiftung. Für die nahe Zukunft arbeiten wir – aufgrund der Gemeinnützigkeit – weiter daran, stiftungsfinanziert zu bleiben. Mittel- und langfristig wäre eine Ausgründung denkbar, die Geld verdient, und dieses dann der gemeinnützigen Plattform hostwriter zur Verfügung stellt.
Was waren die Gründe dafür, dass sich hostwriter als gemeinnützige Unternehmergesellschaft (gUG) gegründet hat?
Wir wollten ein Zeichen setzen, dass wir hostwriter nicht machen, weil es eine Marktlücke ist. Es ist Non-Profit und soll auch Non-Profit bleiben. Der Grundgedanke lautet: Wir wollen auch Journalisten aus wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern die Möglichkeit geben, für Recherchen nach Europa zu kommen. Deshalb wäre es absurd, wenn man für hostwriter zahlen müsste.
Unser Magazin richtet sich speziell an Fachjournalisten: Wie können diese von hostwriter profitieren?
Im Prinzip ist hostwriter ideal für Fachjournalisten. Die Plattform bietet eine passwortgeschützte Suchmaschine an, bei der man gezielt nach Ressorts, Fachkollegen und -medien suchen kann. Ein Schlüsselmodul bei der Suche ist ein Fenster namens „Areas of Expertise“ – hier kann man passgenau nach Spezialgebieten suchen, außerdem ist es ein lernendes Feld, das heißt, man kann neue Themengebiete hinzufügen.
Wie muss man sich die Beta-Version von hostwriter konkret vorstellen?
Es gibt folgende Suchkriterien: Name, Wohnort, Sprache, Art von Medium, Ressort, Spezialgebiete, Mitgliedschaft in einer unserer Partnerorganisationen wie dem DFJV. Anmelden können sich nur Journalisten; Journalisten meint klassische Journalisten, journalistisch arbeitende Blogger und Dokumentarfilmer. Am Anfang wird die Devise vorherrschen: By invitation only. Grundsätzlich gibt es dann zwei Wege, sich anzumelden: Einmal über unsere Partnerorganisationen. Diese bekommen vor dem Launch einen Code von uns, den sie ihren Mitgliedern geben können. Wenn man die Anmeldungsmaske von hostwriter ausfüllt, kann man den Code eingeben und wird sofort freigeschaltet, da man durch seine Mitgliedschaft in einer journalistischen Vereinigung schon als Journalist verifiziert ist. Alle anderen Interessierten durchlaufen einen Akkreditierungsprozess, bei dem auch um Arbeitsproben gebeten wird.
Wie halten Sie es mit dem Datenschutz?
Darauf legen wir großen Wert. Zum Beispiel wird man selbst als freigeschalteter Nutzer bei der ersten Kontaktaufnahme niemals die E-Mail-Adresse eines anderen Nutzers sehen. Erst, wenn dieser sich zur Kooperation bereit erklärt und auf die Anfrage per Mail antwortet, kennen beide Seiten ihre Kontaktdaten. Das bedeutet auch, dass ein Programm, das hostwriter infiltriert, dort nicht einfach Mail-Adressen abgreifen kann.
Für alle Interessierten: Welche Möglichkeiten gibt es, sich bei hostwriter zu engagieren?
Es gibt viele Möglichkeiten, unser Projekt zu unterstützen. hostwriter funktioniert nach dem Schneeball-Prinzip – je mehr Journalisten dabei sind, umso besser und feiner kann ich nach Kollegen suchen und die richtigen finden. Deshalb ist es wichtig, hostwriter weiterzuempfehlen: per Mail, Social Media oder bei einem Bier. Man kann dann auch Ambassador, Botschafter, werden. Wir haben zum Beispiel einen Kontakt in Ägypten, der beschlossen hat, die hostwriter-Informationen ins Arabische zu übersetzen und die Plattform im arabischen Raum bekannt zu machen. Man kann sich als Botschafter in einem Video kurz vorstellen und zeigen, wer man ist und warum man hostwriter gut findet. Diese Videos binden wir dann auf unserer Startseite und unserem YouTube-Channel ein. Schon vor dem Launch haben wir so ein internationales hostwriter-Netzwerk aufgebaut.
Was muss passieren, damit Sie sagen: Das Projekt hat sich gelohnt.
hostwriter ist dann ein Erfolg, wenn sich viele Leute anmelden und auch gute Geschichten daraus entstehen – unter „Case Studies“ dokumentieren wir diese auf unserer Plattform. Wer weiß, vielleicht steht eines Tages unter einem Abspann oder einem Artikel: Das war eine hostwriter-Produktion.
Haben Sie sich eine konkrete Zahl an hostwriter-Mitgliedern zum Ziel gesetzt?
Wenn wir bis zum Jahresende 1000 Mitglieder hätten, wäre das großartig, alles andere natürlich noch viel besser.
Gibt es etwas, was Sie anderen Initiativen, die kollaborative journalistische Projekte verfolgen, mit auf den Weg geben können?
Entscheidend ist für mich, dass man ein Projekt wie hostwriter mit den richtigen Leuten macht. Durch unsere gemeinsame Arbeit bei journalists.network kannte ich Tabea und Tamara schon ganz gut und wusste, wie sie ticken. Das ist wichtig, weil es bei so einem Projekt natürlich Höhen und Tiefen gibt. Vor allem die zeitliche Belastung ist nicht zu unterschätzen, deshalb braucht man Mitstreiter mit einer ähnlichen Begeisterung für die Sache. Was das Auftreten gegenüber potenziellen Finanzierern anbetrifft: Es ist extrem wichtig, von der eigenen Sache überzeugt zu sein. Wenn man selbst begeistert ist, kann man auch andere Leute von seinem Projekt begeistern.
Frau Zistl, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Erfolg mit hostwriter.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Die hostwriter-Initiatorin Sandra Zistl, Jahrgang 1979, arbeitet als freie Redakteurin und Autorin, vor allem für FOCUS Online und Welt kompakt. Sie lebt in München.