Meedia.de, Interview: Marvin Schade

MEEDIADrei Journalistinnen arbeiten an einem neuen sozialen Netzwerk, das Reporter weltweit miteinander verknüpfen soll. Ziel ist es, sagt Mitbegründerin Tabea Grzeszyk, den Einzelnen unabhängiger zu machen. Immer weniger Freie bekämen internationale Recherchereisen von ihren Auftraggebern bezahlt und sind angewiesen auf entsprechende Organisationen oder Stipendien. Im Interview erklärt die Gründerin, hostwriter.org sei eine Alternative, die die Verlage aber nicht von ihren Pflichten entbinden soll.

Welche Idee verbirgt sich hinter dem Projekt hostwriter.org?
hostwriter ist ein soziales Netzwerk, um Kooperationen unter Journalisten auf der ganzen Welt zu ermöglichen. Damit wollen wir uns vom sogenannten “Ellenbogenjournalismus” abwenden: Wir denken, dass man sich unter Journalisten nicht nur als Konkurrent sehen sollte, sondern weiter kommt, wenn man sich gegenseitig unterstützt – ohne Angst, dass Kollegen einem eine Story wegnehmen. Wir drei Gründerinnen kennen uns von journalists network, das ist ein gemeinnütziger Verein, der seit 18 Jahren unter anderem Recherchereisen für Journalisten organisiert. Es ist dort immer eine tolle Erfahrung, mit einer Gruppe Journalisten in einem fremden Land unterwegs zu sein, die gleichen Termine wahrzunehmen, dieselben Wirtschaftsvertreter und dieselben Künstler zu interviewen, und am Ende doch eine eigene Geschichte zu schreiben.

Wie kann hostwriter.org dazu beitragen?
Mit hostwriter wollen wir das Konzept der gemeinsamen Recherchereisen auf eine andere Ebene bringen. Wenn man als einzelner Journalist mit Leuten und anderen Journalisten auf der ganzen Welt kooperieren könnte, die alle wieder ihre eigene Expertise mitbringen, wäre für den Einzelnen sehr viel mehr möglich.

Was genau grenzt hostwriter.org von Organisationen wie journalists network ab?
Bei journalists network ist es in der Regel so, dass mindestens zwei Leute diese Reise organisieren. Sie suchen nach Sponsoren, kümmern sich um Kontaktaufnahme in das jeweilige Zielland und planen die Termine. Mit hostwriter ermöglichen wir, dass jeder solche Reisen in Zukunft für sich selbst organisieren kann. Wir vernetzen Journalisten weltweit miteinander und schaffen einen transparenteren Informationsaustausch. Wenn ich beispielsweise, wie jetzt gerade, im Libanon recherchieren möchte, kann ich selbst nach Kollegen suchen, die bereit sind, mir vor Ort bei der Recherche zu helfen. Das macht mich als Journalist unabhängiger, weil ich nicht komplett auf Stringer oder etablierte Organisationen angewiesen bin.

Welche Voraussetzungen muss ich erfüllen, um am Projekt teilnehmen zu können?
Das wichtigste Kriterium ist natürlich, dass man Journalist ist. Es ist nicht das Ziel, dass jeder, der mal einen Blogeintrag gepostet hat, seine Reisen über hostwriter.org organisieren kann, weil er sich davon das größere Abenteuer erhofft. Man muss sich deshalb als Journalist akkreditieren, um Mitglied zu werden. Ist jemand bereits Mitglied in einer unserer Partnerorganisation wie netzwerk recherche, dann geht das ganz schnell. Ansonsten verlangen wir Arbeitsproben. Uns ist das ganz wichtig, denn wir möchten allen Mitgliedern versichern, dass sie sich wirklich mit Kollegen vernetzen. Das können dann übrigens auch Blogger sein – wenn sie ihre Blogs journalistisch bestücken.

Die Vernetzung läuft dann also über eine Art Xing für Journalisten?
Wie in allen sozialen Netzwerken hat jeder sein eigenes Profil, hier aber mit journalistisch relevanten Infos: Woher man kommt, wo man sich derzeit befindet, aber auch welche Sprachen man spricht, zu welchen Themen man recherchiert  oder wie man Journalisten aus anderen Ländern behilflich sein kann. Wichtig wird auch sein, welche Art von Journalist man ist. Recherchiere ich als Fotograf, bin ich Videojournalist, arbeite ich fürs Radio oder schreibe ich für eine Zeitung?

Auf den ersten Eindruck klingt hostwriter nach Couchsurfing für Journalisten. Sie schreiben auf Ihrer Homepage aber, dass es mehr sein soll als nur das.
Das Angebot richtet sich an Profis. Es geht nicht einfach nur darum, seinen Schlafsack bei einem Kollegen auszurollen. hostwriter soll auch das Interesse an gemeinsamen Recherchen stärken. Ich kann als ortsfremder Journalist wesentlich mehr herausfinden, wenn ich mich mit einheimischen Journalisten zusammenschließe. Vielleicht brauche ich auch einfach nur einen Tipp, welcher Interviewpartner zu meinem Thema passen könnte oder welche Orte sich für Dreharbeiten eignen – ob ich dabei im Hotel schlafe oder über hostwriter bei einem Kollegen auf der Couch, ist mir überlassen.

Sprechen Sie speziell freie Journalisten an, weil sie – besonders was Recherche-Budgets angeht – über weniger Kapazitäten verfügen oder richten Sie sich auch an festangestellte Redakteure?
Wir richten uns wirklich an alle. Wir haben ja auch eine festangestellte Redakteurin im Gründerteam und ich als Freie schiebe auch des Öfteren CvD-Schichten. Das Netzwerk ist nicht nur eine Travel-Plattform. Oft braucht man schnell einen Ansprechpartner in einem anderen Land, besonders wenn vielleicht gerade kein Korrespondent vor Ort ist oder dieser nicht schnell genug reagieren kann. Das Korrespondentennetz, das der deutsche Journalismus hat, ist super. Aber ein einheimischer Journalist hat noch einmal weitergehende Qualitäten. Es wäre toll, wenn diese auch für deutsche Redaktionen greifbar werden. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Mentalität, so ein Netzwerk auch für Reisen zu nutzen, eher zu Freien passt.

Wenn das so ist: Inwiefern besteht die Gefahr, dass Verlage ihr Angebot missbrauchen, um Reisekosten für Freie zu sparen?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es ist natürlich das Gegenteil unseres Anliegens. Es geht sicher nicht darum, Verlagen die Reisekosten zu reduzieren oder gar ganz zu ersparen. Aber diese beiden Aspekte muss man trennen: Auf der einen Seite die konkreten Herausforderungen des Alltags der freien Kolleginnen und Kollegen, auf der anderen Seite die Tatsache, dass viele Verlage journalistische Arbeit nicht fair bezahlen. Reisekosten erstattet zu bekommen, ist heute eher die Ausnahme als die Regel. Das ist die politische Ebene: Hier stehen in erster Linie die Gewerkschaften in der Pflicht, dass freie Journalisten ihre Kosten für die Recherche erstattet bekommen und fair bezahlt werden. hostwriter kümmert sich um die konkrete Ebene: Als freie Journalistin – und das bin ich – will ich jetzt reisen und recherchieren und meinen Job machen. Ich kann und will nicht warten, bis sich auf der politischen Ebene etwas getan hat. Deshalb bauen wir alternative Strukturen auf. Das bedeutet absolut nicht, dass wir Verlage und Redaktionen damit von ihren Pflichten befreien wollen.

Aber genau das ist doch der Nebeneffekt.
Andersherum: Ich ärgere mich als freie Journalistin schon jetzt, dass ich auf Reisekosten sitzen bleibe. Jede Recherche im Ausland wird quasi zu meinem Hobby degradiert. Dass man als freier Journalist Alternativen sucht, ist als Nebeneffekt zu sehen. Es ist ja nicht so, als würden wir durch hostwriter ein Phänomen provozieren, das es jetzt noch nicht gibt – das ist umgekehrte Logik. Deshalb gibt es ja schon solche organisierten Pressereisen, bei denen man kaum noch unabhängige Gesprächspartner bekommt. Das Problem ist längst da.

Es ist aber auch klar, dass Gewerkschaften es in Zukunft schwieriger haben, wenn Journalisten beginnen alternative Strukturen aufzubauen. Stichwort: Crowdfunding. Vereinzelt tauchen Projekte auf, hinter denen eindeutig Redaktionen stehen, keine Freien.
Zuallererst finde ich es eine Unverschämtheit, wenn Redaktionen ihren Journalisten auftragen, sie sollen ihr Projekt doch über Krautreporter und Co. finanzieren. Genauso wäre es, wenn Redakteure Freien auftragen würden, auf hostwriter nach Unterkunftsmöglichkeiten zu suchen. In diesem Fall müsste man versuchen mit Öffentlichkeit entgegenzuwirken, und auf solche Fälle beispielsweise auf unserem hostwriter-Blog aufmerksam machen. Einem solchen Missbrauch würden wir uns als Gründerinnen entschieden entgegenstellen und diese Verlage beispielsweise sanktionieren. Denkbar wäre, die Freien solcher Verlage dann auszuschließen. Fakt ist jedoch wie gesagt, dass die derzeitige Situation ein Ärgernis ist. Mein Beruf, den ich mit Herzblut ausübe, kann nicht einfach zum Hobby gemacht werden, nur weil sich niemand meine Recherchen leisten will.

Derzeit befinden Sie sich noch in der Organisationsphase. Wann werden Journalisten Ihr Angebot in Anspruch nehmen können?
Momentan arbeiten wir noch daran, weitere Kooperationspartner zu finden. Wir haben bereits Kontakt zu bestehenden Verbänden aufgenommen und eine Kampagne gestartet, um Botschafter zu gewinnen. Wir haben beispielsweise schon Journalisten im Oman, in Indien, Finnland, natürlich auch in Deutschland. Diese Botschafter werben in ihrem jeweiligen Umfeld für hostwriter. Wir werden das Netzwerk erst öffentlich zur Verfügung stellen, wenn ein gewisses Angebot besteht. Wir hoffen, dass im Frühjahr 2014 die Beta-Version an den Start gehen kann.

Wie steht es um die Finanzierung des Projekts?
Da stehen wir natürlich vor einer Herausforderung, weil wir hostwriter als Non-profit-Organisation gegründet haben. Wir dürfen und wollen keine Gewinne schreiben. Für uns steht auch fest,  dass das Angebot für die Nutzer kostenlos sein und bleiben wird. Denn: Ein kostenpflichtiges Angebot  schließt vor allem Journalisten aus ärmeren Ländern aus. Aktuell sind wir komplett stiftungsfinanziert und  sind auch weiter auf der Suche nach Stiftungen, die sich am Projekt beteiligen wollen. Wenn wir nachhaltig bleiben wollen, brauchen wir sicher noch ein anderes Geschäftsmodell. Eine denkbare Möglichkeit wäre beispielsweise, zwei Account-Modelle anzubieten. Neben der kostenlosen Basisversion wäre eine Art Premium-Account denkbar, die mit zusätzlichen Funktionen ausgestattet ist, wie beispielsweise einer erweiterten Suche oder Ähnlichem.