“Recherche ohne Grenzen” The enorm Magazin reports about hostwriter as a platform for research without borders.
Von Jonathan Widder
Auf der Plattform Hostwriter können sich Journalisten mit Kollegen weltweit vernetzen, um erfolgreicher zu recherchieren, hilfreiche Kontakte zu knüpfen und gemeinsame Projekte zu starten.
Wer von Hongkong, der Ukraine oder Tahiti keine Ahnung hat, der glaubt den wichtig dreinblickenden Menschen, die aus dem Fernseher schauen und von Ländern wie diesen berichten, oft sehr viel oder auch gleich alles, was sie erzählen. Wer sich aber in einem Thema oder einem Land besser auskennt, der merkt, dass auch professionelle Journalisten oft beträchtliche Wissenslücken aufweisen und bei ihrem Job nicht etwa die Wirklichkeit übermitteln, sondern nur das, was sie in mehr oder weniger kurzer Zeit von dieser Wirklichkeit aufschnappen und in ihre persönlichen Wahrnehmungraster einordnen konnten.
Auffällig sind diese Verständnislücken gerade bei Journalisten, die in kurzer Zeit über ein Thema oder aus einem Land berichten müssen, mit dem sie sich vorher noch kaum auseinandersetzen konnten. Und dummerweise lässt ihnen der Druck, täglich Neues zu erklären, auch oft keine Zeit, sich mit allen von ihnen behandelten Themen in der Tiefe auseinanderzusetzen. Die wertvollste Ressource, um die eigenen Wissenslücken zu minimieren, sind für Reporter dabei (neben Google) fachkundige Kontakte, die ihnen helfen, sich schnell und nachhaltig in den neuen Kontexten zurechtzufinden. Die allerdings sind desto schwieriger zu finden, je weiter man sich von zu Hause und seinem vertrauten Umfeld entfernt.
Couchsurfing für Journalisten
Um diese Orientierung und das Aufspüren hilfreicher Kontakte zu erleichtern, und damit auch den Journalismus besser zu machen, haben die drei Journalistinnen Sandra Zistl, Tabea Grzeszyk und Tamara Anthony nun die Plattform „Hostwriter“ gegründet. Auf ihr können sich Journalisten und Kollegen aus ähnlichen Berufen wie Dokumentarfilmer oder journalistisch arbeitende Blogger weltweit vernetzen, um schneller an wichtige Informationen und Kontakte zu kommen oder gemeinsame Projekte zu starten. Auch wer über kein konkretes Vorhaben verfügt, kann sich über Hostwriter mit Kollegen in anderen Städten und Ländern in Verbindung setzen, nach einer Übernachtungsmöglichkeit fragen oder sich erst mal ganz gemütlich mit jemandem zum Kaffee treffen. Eine Art Couchsurfing für Journalisten. Die besten Ideen, heißt es schließlich, entstünden in lockeren, informellen Unterhaltungen.
Auch wer gerade keine Trips ins Ausland plant, aber selbst Kenntnisse hat, die für andere interessant sein könnten, kann sich auf Hostwriter registrieren. Bis jetzt zählt die Plattform, die im Mai gestartet ist, mehr als 700 Mitglieder. Vertreten sind dabei gleichermaßen jüngere wie ältere Jahrgänge, so Hostwriter-Mitbegründerin Tamara Anthony. Um Mitglied zu werden, reicht es, das Anmeldeformular auf der Website auszufüllen und Links zu Arbeitsproben anzugeben. Gleichsam ein Sommerspaziergang für die Vertreter eines Milieus, die sonst Tage und Nächte mit den Fragebögen von Finanzamt und Künstlersozialkasse verbringen.
Soziale Innovationen im Journalismus
Die Mitgliedschaft bei Hostwriter ist kostenlos und soll es auch weiterhin bleiben. Allerdings denken die Macherinnen der Plattform auch über Möglichkeiten wie Freemium-Modelle nach, also einen Mix aus ‚free‘ und ‚Premium‘, bei der die gelegentliche Nutzung weiterhin kostenfrei bleibt, für Intensiv-Nutzer ab einer bestimmten Schwelle aber Beiträge fällig werden. Damit könnte das Netzwerk eines Tages auch auf eigenen Beinen stehen. Bis jetzt generiert es noch keine eigenen Einnahmen.
Hostwriter ist die zweite größere Innovation im Journalismus dieses Jahr. Zuvor hatte schon die Seite Krautreporter auf sich aufmerksam gemacht, als sie per Crowdfunding genügend Leser auftreiben konnte, um ein Jahr lang gut recherchierte, werbefreie Texte schreiben zu können. Das wird auch Zeit angesichts der sonstigen Meldungen aus der Branche, die normalerweilse mit Leserschwund, Stellenabbau, Qualitätsverlust oder gleich Insolvenz zu tun haben.
Wer nicht zu Krautreporter gehört, aber trotzdem kooperativ guten Journalismus machen will oder das vielleicht sogar schon tut, für den könnte der Hostwriter-Preis interessant sein, für den die Plattform zurzeit Bewerbungen sammelt. Die Kriterien, nach denen ausgewählt wird, lauten „Zusammenarbeit“ und „guter Journalismus“. Einsendeschluss ist der 28. November.